Die bewegte, lebendige, „pulsierende Metropole Unterfrankens“ (so steht es tatsächlich auf manchen Ansichtskarten) schafft es immer wieder, in uns ein merkwürdiges, einzigartiges Gefühl hervorzurufen, welches sich aus Faszination und Entsetzten zusammensetzt. Das ist zwar nicht neu, aber mensch darf einfach die Pflicht, darüber vernünftig zu berichten, nicht vernachlässigen. Das sind wir schuldig – wenn nicht jemand anderem – unseren schmerzenden Hirnen aber allenfalls.
Wir haben uns am 15.01. den „empörten Würzburgern“ in ihrem gemütlichen Protest-Spaziergang durch die Innenstadt probeweise angeschlossen. Würzburger Attac-Gruppe und ihr Dunstkreis erdreisteten sich diesmal in der etwas wahllosen Bezugnahme auf die spanischen „Empörten“, auf die Occupy-Bewegung in den USA und soziale Aufstände in arabischen Ländern. Kann mensch aus diesen Aufständen, die teilweise in Form von Bürgerkriegen ausgefochten wurden und immer noch werden, denen aber – was viel wichtiger ist – Streiks und ArbeiterInnen-Unruhen zugrunde liegen, zahnlose Forderungen nach formeller „Vertiefung der Demokratie“ im Sinne der Herrschaftsform im Staat ableiten? Kann mensch aus der Solidarität mit (zwar auch etwas wirren) spanischen und US-amerikanischen Bewegungen eine Fair-Trade-Veranstaltung vor der leeren Filiale der Doitschen Bank in der Julius-Promenade machen? Offensichtlich schon. Wie haben es mit unseren eigenen Augen gesehen und unseren eigenen Ohren gehört. Das ist der schizophrene Citoyen-Aufstand der zutiefst doitscher Art, der in unsicheren Zeiten leicht hysterisch wird und seine Bourgeois-Hälfte abspaltet und „nach oben“, in gierige Bänker und PolitikerInnen verlagert. Die waren´s, die es verbockt haben. Und wir empören uns hier ein bisschen in Begleitung von gut gelaunten Vollzugsbeamten. Nun, das sind die angeblichen „99%“, die mit ihren Forderungen nach mehr Volksentscheiden, nach mehr ehrlichen Landestragabgeordneten, nach „gutem“ Geld, „fairen“ Preisen und – natürlich! – nach guten, anständigen, volksnahen Banken so ungefähr 99% dieser Krise, dieses ungeheuren Schlamassels, das wir immer noch sentimental als Gesellschaft bezeichnen, retten und verteidigen wollen.
Die Totalität dieser Dummheit wirkt erdrückend und ihr Enthusiasmus und unerschütterliches Selbstvertrauen rufen in uns das Gefühl der Ohnmacht hervor. Nehmen wir mal den an derselben Schizophrenie gescheiterten Aneignungsversuch, der sich in Würzburg „Bildungsprotst“ oder gar „Bildungsstreik“ nannte, als Bild für das vorherrschende empörte öffentliche Bewusstsein. (Dass die allgemeine Misere nicht in den Bildungsprotesten 2009/2010 begründet liegt, sondern umgekehrt, ist uns natürlich bewusst. Wir nutzen den Vergleich aus didaktisch-pädagogischen Gründen.) Mensch kann sich darüber nicht mehr lustig machen. Da stimmen wir Mag Wompel zu: Jahrzehnte der sozialen Befriedung haben das gesellschaftliche Gedächtnis praktisch ausgelöscht, und die gegen Bänker gerichteten Exekutions-Phantasien wirken tatsächlich mittelalterlich. Aber es graut uns manchmal einfach. Da sind z.B. IG Metal und der DGB, die aller Ernstes die Krise mit Abwrackpremien, Kurzarbeit und dem Abbau der Koalitionsfreiheit abwehren wollten; da ist die bayerische Landes-ASTen-Konferenz, die statt die Position der Studenten und Studentinnen einzunehmen, die kein Geld für Studiengebühren aufbringen können, dem bayerischen Landtag und dem Kultusministerium in höflichen Briefen ihre Sorgen um den Standort Bayern darlegt, ohne sich dafür im Geringsten zu schämen. Finden Sie 10 Unterschiede! Da sind Leute, die sich warum auch immer darüber empören, dass „Coca-Cola weniger kostet, als Wasser“ (O-Ton eine empörte Tante vor der Doitschen Bank am Sonntag) und nicht darüber, dass so was überhaupt kostet, dass es so was widersinniges wie Wert überhaupt gibt. Da sind Menschen, die zum Vortrag von Ortlieb im Noien Weg (17.11.) kommen, nicht um sich kritisch auf seine Thesen zur Wertform einzulassen, sondern um in der Diskussion ihren sorgsam bei Spiegel, FAZ oder Focus angeselenen Hirnschiss stolz in den Raum zu stellen. Oder, die zum Marx-Lesekreis kommen, nur um ihre Freigeldlehre-Bücherchen zu präsentieren. Sie dürfen wieder nach 10 Unterschieden suchen. Oder welche, die im Jahre 2012, trotz (möglichen) besseren Wissens, immer noch daran festhalten, es sei „keine Krise, sondern Betrug“ (so ein Plakat am 15.01. in Würg). Stimmt schon, wäre es tatsächlich eine Krise, könnte mensch sich nicht wirklich empören… Schließlich sind wiederum „bunte“ Menschen da, die sich an den rechtskonservativen und antidemokratischen studentischen Verbindungen in dieser Stadt nicht stören, denen aber angesichts plötzlich aus dem Nichts kommenden Neonazi-Terror nichts außer eines gemütlichen Lichterzugs durch die Innenstadt am 23.01. einfällt – die Lieblingsbeschäftigung aller protestierender StudentInnen schlechthin. Wahrlich, das Vertrauen der Deutschen in die Fähigkeit des Souveräns, die Krise zu meistern und die so genannte Gesellschaft wieder zusammen zu fügen, ist unerschütterlich. „Das historische Beispiel des Nationalsozialismus wirkt hier fort: hat Hitler etwa nicht nicht die letzte grosse Krise bewältigt? Ist die Bändigung des Kapitals, seine Unterordnung unter den Souverain nicht schon einmal gelungen? Warum sollten die Deutschen nicht annehmen, dass es jedesmal wieder möglich wäre?“ („Deutschland und die Krise“, Das grosse Thier I)
Herrschaftszeiten, warum, wieso sind sich diese soziale Erscheinungen, die z.B. hier in der Stadt personell nur zum Teile was gemeinsam haben, so ähnlich?! Aber so ähnlich?! Vor allem aber so ähnlich begriffslos und unnütz? Liegt das nicht auch an uns, BesserwisserInnen und zynischen KlugscheißerInnen, das diesem Kinderfest ein Ende gesetzt wird, bevor die Würzburger Montagsspaziergänge anfangen Kinderbolognese vom Bahnhof zum Rathaus zu tanzen? Wieso, beim großen Durutti, wollen sie Banken besetzen? (Oder vor denen Fair-Trade-Veranstaltungen abhalten?) Das unnötigste Ding ever, es sei denn mensch wollte eigentlich nicht wirklich Banken los werden. Wie wär´s mit leer stehenden Hoisern, mit den immer toier werdenden Zügen der DB, mit den Bussen und Straßenbahnen, mit den sonstigen WVV-Stadtwerken, die den „Geringverdienenden“ dieser Kackstadt jetzt schon ziemlich weh tun? Wäre das nicht um einiges „demokratischer“ als sich ein bisschen weniger korrumpierte PolitikerInnen an den Hals zu wünschen?
Nun, sehen wir was am 31. März passiert. Ansonsten – wenn wir nicht am Heizkraftwerk im warmen Wasser mit den Enten plantschen – verbleiben wir mal so großmoilig: Wir sind die 1%! Fuck you!
(via BiKri)