Eine Hommage an Simone Weil
von Seepferd
Angeblich war sie das alles gleichzeitig: Anarchistin, Marxistin, scharfe Kritikerin von Marxismus und Anarchismus, politische Philosophin, Mittelschichtstochter, ungelernte Arbeiterin, Jüdin, Skeptikerin, katholische Mystikerin, Feministin, Pazifistin und militante Antifaschistin. Vermutlich konnte sie das alles sein – und zwar gleichzeitig –, weil sie nichts davon sein wollte. Nichts ausschließlich. Das muss man sich trauen. Vermutlich ist das auch der Grund, warum so wenige mit ihr was anfangen können. Die KatholikInnen zerren sie auf ihre Seite, die AnarchistInnen beanspruchen sie für sich. Die einen meinen, irgendwo in ihrem recht kurzen Lebenslauf „Brüche“ ausmachen zu können, wo und aus welchen Gründen sie sich vom sozial-revolutionären Engagement in die religiöse Kontemplation zurückgezogen hätte; die anderen betonen vielmehr die „Kontinuitäten“: die Rückbesinnung auf christliche Ethik würde dem Engagement für alle Unterdrückten dieser Erde nicht widersprechen. Das Bildungsbürgertum gedenkt ihrer in periodischen Abständen: Es ist ja längst kein Tabu mehr, ein wenig (selbst)ironisch über tote Revolutionäre und andere Verrückte zu sprechen. (1) Man (ge)braucht sie, ähnlich wie Albert Camus, zur Selbstvergewisserung, ohne angeben zu können, wessen man sich eigentlich vergewissert und wie ernst es gemeint ist. (2) Eine Kuriosität also, „rote Jungfrau“, weiblicher Nietzsche, durchgeknallt und letztlich für nichts nütze. Ich persönlich trage das Interesse an der Person Weil schon lange mit mir herum, es hätte womöglich ein Vortrag in den Räumen am Josef-Stangl-Platz in Würzburg werden können, doch dazu kam es nicht. Und das ist vielleicht besser so. Nun scheint es mir abseits von runden Daten und irgendwelchen Jubiläen angebracht, bei einer dermaßen unpraktisch veranlagten Person nach gesellschaftlicher Praxis nachzufragen.
Jedes noch so dünnes Büchlein über sie bzw. von ihr ist, wie z.B. „Anmerkungen zur generellen Abschaffung der politischen Parteien“, mit einer kleinen biographischen Notiz versehen. Es ist also bei ausreichendem Interesse nicht schwer, Simone Weil historisch und ideengeschichtlich einzuordnen. In aller Kürze also, obwohl ich es nicht schaffe, das unterhaltsamer als Antje Schrupp 2009 (3) oder Heinz Abosch 1990.
Simone Weil wurde 1909 in einem guten bürgerlichen Haus in Paris geboren, hatte jüdische Wurzeln, genoss gute Ausbildung und wurde schließlich Lehrerin für Philosophie. Interessierte sich für Politik und soziale Kämpfe, zeigte sich solidarisch mit Arbeitern und Arbeitslosen, was ihr den Ruf der „roten Jungfrau“ einbrachte. Sie trat anarchistischen Zirkeln und revolutionär-syndikalistischen Gewerkschaften bei und las kommunistische Zeitungen, stritt sich mit Trotzki und de Beauvoir. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine revolutionäre Partei sich wohl, nach einer Formel von Marx, des bürokratischen und militärischen Apparats bemächtigen kann, aber sie kann diesen nicht brechen. Damit die Macht wirklich an die Arbeiter übergeht, müssen diese sich vereinigen, nicht nur entlang illusionärer Verbindungen, die von einer Ansammlung gleicher Meinungen ausgehen, sondern entlang wirklicher Verbindungen einer Gemeinschaft, die auf derselben Funktion im Produktionsprozess basiert“, schreibt sie Anfang 1930er gegen die Bestrebungen des Komintern, Gewerkschaften anzuführen. (zit. nach Jacquier 2006, S. 86) Gleichzeitig aber zutiefst individualistisch: „Denken wir daran, dass wir dem Individuum, nicht dem Kollektiv den höchsten Wert beimessen. (…) Nur im Menschen als Individuum finden wir Voraussicht und Willenskraft, die einzigen Quellen einer effizienten Aktion. Aber die Individuen können ihre Anstrengungen vereinigen, ohne dabei ihre Unabhängigkeit zu verlieren“. (zit. nach Jacquier 2006, S. 104) Continue reading “„…den Entschluss zu fassen, die Freiheit zu denken“”