Meinst du, der Feind meines Feindes ist mein Freund?

(in der Mai-Ausgabe des Conne Island Newsletters, CEEIEH #257 erschienen. – liberadio)

Buchrezension von Jörg Kronauers »Meinst du, die Russen wollen Krieg? Russland, der Westen und der zweite Kalte Krieg«

Eines der wenigen Dinge, an die ich mich, ehrlich gesagt, überhaupt noch aus meinem Studium der Politikwissenschaft erinnere, ist, dass es immer die Dümmsten waren, die nach morgendlicher Spiegel Online-Lektüre in den Seminaren zu den Internationalen Beziehungen am lautesten über die sog. Außenpolitik schwadronierten. Der Maßstab des Themas korrespondiert nicht unbedingt mit der Größe der Erkenntnis. Und wenn doch, dann meistens umgekehrt proportional. Es lässt sich bekanntlich am bequemsten – vorzugsweise von expertenhaften Gesichtsausdrücken und Gesten begleitet – fachmännisch, äquidistant, wissenschaftlich eben über das ›Weltwetter‹ schwadronieren, wenn man/frau eh nichts fürs ›Wetter‹ kann. Da sah man/frau beides bereits in ein und derselben Gestalt: Die politisch interessierten BürgerInnen am Frühstückstisch und den PolitikexpertInnen vom Frühstücksfernsehen, die sich beim Käffchen in die Rolle mal der einen, mal der anderen Regionalmacht unverbindlich einfühlen.

Dem konkret-Autoren und Redakteur von german-foreign-policy.com Jörg Kronauer wird man mit so was natürlich nicht gerecht. Trotz des pathetischen Jewtuschenko-Zitats im Titel und des Verweises auf einen angeblichen »Kalten Weltkrieg«, ist das Buch voll mit wertvollen Hinweisen rund um den Konflikt Russland vs. die NATO bzw. ›der Westen‹ gespickt.

Im Schnelldurchlauf und dennoch faktenreich skizziert er die historische Entwicklung und die Grundlinien der aktuellen Russlandpolitik Deutschlands und der USA. Alles wertvolle Hinweise, die öfters in der Debatte fehlen und die vorschnell zur Dämonisierung Russlands verleiten. Was die deutsche Ostpolitik angeht, fängt Kronauer merkwürdigerweise erst in der Weimarer Zeit an, als sich Teile der deutschen Bourgeoisie mit dem jungen sozialistischen Russland arrangieren mussten, weil ihnen ihre Geschäftsbeziehungen aus der Zarenzeit drohten flöten zu gehen. Das ist eben die Konfliktlinie zwischen verschiedenen Bourgeoisiefraktionen, die sich durch die gesamte Geschichte der deutschen Russlandbeziehungen zieht und manchmal abenteuerliche ideologische Formen annimmt: Mit dem ›Westen‹ zusammen den ›wilden Osten‹ kolonisieren, mit Russland gegen den verhassten Rest von Europa oder gar im Alleingang gegen den Rest der Welt Mist an allen Fronten bauen? Selbst nach dem desaströsen Ausgang des Zweiten Weltkrieges,, formierten sich mit der Gründung der BRD in den 1950er Jahren wirtschaftliche Interessengruppen im sog. Ost-Ausschuss, die Handelsbeziehungen mit dem sog.sozialistischen Ostblock anstrebten. Dabei unterstützte man immer gerne nationalistische Zentrifugalkräfte wie z.B. den ukrainischen Nationalismus bzw. die exilierten Überreste der »Ukrainischen Befreiungsarmee«, der faschistischen Kollaborateurentruppe OUN-UPA. Wie diese politische Unterstützung mit der Arbeit des Ost-Ausschusses konkret zusammenhing, verrät uns Kronauer nicht. Er schildert aber deutsche Versuche, die kollabierte wirtschaftliche und die geschwächte außenpolitische Lage der zerfallenen Sowjetunion auszunutzen und ehemalige Teile davon in den eigenen Einflussbereich hineinzuziehen – wie es z.B im Fall der Ukraine trotz florierender wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit Russland 2014 passierte. Continue reading

Aus: Simone Weil, “Die Verwurzelung. Vorspiel zu einer Erklärung der Pflichten dem Menschen gegenüber”, 2011 Zürich

(Ich hab’s endlich hingekriegt, was ich seit Jahren vorhatte und mich nicht so richtig rangetraut habe: über Simone Weil geschrieben. Es hat sich da so einiges in den Notizen angesammelt, vieles davon habe ich schließlich nicht verwendet. Es ist auch nicht einfach, Weil zu lesen, deswegen haue ich das ganze Geroll raus – vielleicht stolpert jemand darüber und lässt sich doch noch zur Lektüre inspirieren oder hat nach dem Zitat gesucht und weiß nicht mehr, wo es war. Hier, übrigens, waren die Exerpte aus ihrem Fabriktagebuch. Wie auch immer, enjoy! – liberadio)

„Die Pflicht besteht nur zwischen einzelnen Menschen“. (S.8.)

„Diese Pflicht beruht auf keiner Übereinkunft. Denn all Übereinkünfte können nach dem Willen der Vertragspartner geändert werden, während an dieser Pflicht keinerlei Änderung eines menschen Willens auch nur irgendwas ändern könnte. Diese Pflicht ist ewig. Sie entspricht dem ewigen Geschick des Menschen. Nur der Mensch hat ein ewiges Geschick. Die Gemeinwesen haben es nicht. Auch bestehen ihnen gegenüber keine direkten Verpflichtungen, die ewig wären. Einzig und allein ewig ist die Pflicht dem Menschen als solchen gegenüber. Diese Pflicht ist nicht an Bedingungen geknüpft. Wenn sie auf etwas gegründet ist, gehört dieses Etwas nicht unserer Welt an. In unserer Welt ist sie auf nichts gegründet. Dies ist die einzige Pflicht, die sich auf die menschlichen Dinge bezieht, aber keiner Bedingung unterworfen ist“. (S. 9)

„Die französische Arbeiterbewegung, die aus der Revolution hervorging, war im Wesentlichen ein Schrei, nicht der Revolte, sondern des Protests gegen die erbarmungslose Härte des Schicksals aller Unterdrückten. (…) Sie endete 1914; seitdem ist nur noch ein Nachhall geblieben (…) Das konkrete Verzeichnis der Schmerzen der Arbeiter liefert die Liste der Dinge, die geändert werden müssen“. (S. 53) „Nur die JOC (Jeunesse Ouvrière Chrétienne) hat sich mit dem Leid der jungen Arbeiter befasst; dass es diese Organisation gibt, ist vielleicht das einzige sichere Zeichen dafür, dass das Christentum bei uns noch nicht ganz gestorben ist“. (S. 62)

„Auf jeden Fall wäre eine solche soziale Lebensweise weder kapitalistisch noch sozialistisch. Der Proletarierstand würde abgeschafft, anstatt auf alle Menschen ausgedehnt zu werden, wozu der sogenannte Sozialismus tendiert“. (S. 74)

„Er wird keine gesunde Arbeiterbewegung geben, wenn sie nicht über eine Lehre verfügt, die dem Begriff des Vaterlands einen bestimmten Platz zuweist, das heißt einen beschränkten Platz“. (S. 97) Continue reading

Buchrezension: „The Colours of the Parallel World“ von Mikola Dziadok

von ndejra (erschienen in der April-Ausgabe der GaiDao)

Manchmal überkommt eine*n das Gefühl, linke Knastliteratur – Erinnerungen, Tagebücher, wissenschaftliche Abhandlungen und Ähnliches – hat wieder Konjunktur. Die Welt ist so anders geworden seit den Zeiten als Leute wie Peter Kropotkin, Alexander Bergman oder Wera Figner über ihr Leben hinter Gittern berichteten, als Warlam Schalamow und Alexander Solschenizyn die GULag-Hölle für kommende Generationen beschrieben haben. Natürlich hat der Staat, „ein unermesslicher Friedhof“, wie ihn Bakunin bezeichnete, nie aufgehört, mit seinem Repressionsapparat Leben und Körper der Delinquent*innen zuzurichten und zu zermalmen. Manchmal wird die alltägliche Repression nur spürbarer, manchmal gelingt es jemandem sie nur besonders eindrucksvoll zu schildern.

So gelang es z.B. dem belarusischen Anarchisten Mikola Dziadok in seinem kleinen Büchlein. Es ist nicht „brandneu“, es muss, wenn ich mich nicht täusche, bereits 2017 oder Anfang 2018 erschienen sein. Dziadoks Buch führt gewissermaßen die Erzählung fort, die mit dem Ihar Alinevichs Bericht aus dem Minsker Untersuchungshaft „Auf dem Weg nach Magadan“ begonnen wurde (siehe die Besprechung in GaiDao Nr. 82, Oktober 2017). Beide kamen 2010/2011 infolge der Wahlproteste unter die Räder der belarusischen Staatsmaschine, beide (und einige andere Anarchist*innenen und Liberale) haben nach Farce-Prozessen hohe Gefängnisstrafen bekommen. Ihar bekam damals 8 Jahre und Mikola 4,5 Jahre des „strengen Regimes“, dem Letzteren hat man die Strafe später um ein Jahr noch verlängert. Beide wurden frühzeitig entlassen. Wie Dziadok in einem Interview 2015 erklärte, das passierte nur, weil Belarus, das oft als die „letzte Diktatur Europas“ bezeichnet wird, immer noch die sowjetische Staatssymbolik beibehält und dessen Geheimdienst immer noch KGB heißt, versucht, auf den Spannungen zwischen der EU, den USA und Russland zu spielen und gewisse Liberalisierungen im Inneren demonstrieren musste. Continue reading

Урсула ле Гуин: Дао, утопия и анархизм

Эту писательницу уважают многие: причём как фэны science-fiction или фэнтези, так и в так называемых либертарных кругах. Особенно последние почитают её за “Обездоленного” – то ли анархо-коммунистическую, то ли анархо-синдикалистскую утопию (а может, и анти-утопию), за рассказик “За день до революции” (как бы из того же цикла, но про то как каша с анархистским восстанием заварилась), да ещё за пару-тройку вещей (будь то “Слово для мира и леса одно” или “Всегда возвращаясь домой”), где явные симпатии автора (или авторши?) анархизму и пацифизму не заметить нельзя. О том и будет речь — откуда, каким образом и куда идёт эта мысль у Урсулы ле Гуин.

1. Житие-бытие

Биографий было написано не великое множество, но достаточно. Все они, однако, выходили на загнивающем Западе: де Болт, Бакнолл, Спивак, Рейд. Все они, так или иначе, касались работ ле Гуин (кои не ограничивались лишь сочинениями в жанре фантастики), биографические же справки всегда были скупы. Ле Гуин никогда не собиралась становится звездой, нигде особо не светилась, личную жизнь на показ не выставляла, да и жила-то довольно спокойно, без подвигов и скандалов. А уж теперь-то, когда ей 80 — уже не до приключений и драм.

Родилась Урсула 21-го отктября 1929-года в небольшом университетском городишке на Севере Калифорнии, в Беркли. Младший ребёнок и единственная дочь Теодоры и Альфреда Кробер. Папаша был именитым профессором этнологии, что объясняет интерес самой Урсулы к этой науке, да и периодическое появление в её романах фигуры этнолога-исследователя, которому приходится выступать в роли посредника, когда сталкиваются две культуры. Разумеется, отца, известного учёного, посещали разные не менее именитые гости. Этнологи большей частью, конечно, но и другие — например, физик Оппенгеймер. Оный произвёл на Урсулу такое сильное впечатление, что — короче, догадайтесь сами, кто был прототипом физика-вольнодумца Швенка из “Обездоленного”… Приходили и калифорнийские индейцы, на которых специализировался профессор Кробер — из объектов изучения они стали друзьями семьи. Особенный друг семьи – индеец Иши, о котором мать Урсулы написала книгу, ставшую в последствии довольно известной – “Ishi in two worlds”. Фигура действительно экзотическая и впечатляющая, тем более, если Иши был последним представителем своего племени — изгой в двух мирах(тоже распространнённый типаж у ле Гуин). В пять лет Урсуле пришлось научиться читать и писать. Именно пришлось, т.к. старшему брату было стыдно иметь безграмотную сестру. И, разyмеется — ещё одно влияние — много-много книг. И конечно, фантастика, фэнтези. В 12 лет она безуспешно пытается опубликовать свой первый фантастический рассказ в журнале “Astounding”. С “Дао де цзин” Лао Цзы она тоже познакомилась довольно рано — и это, опять же, довольно значительное влияние в её творчестве, но об этом позже (чего, обычно, почитатели писательницы ле Гуин не знают: дао — частая тема её научных работ). Также среди влияний следует уделить особое внимание учению об архетипах Юнга. Прежде чем начать свою писательскую карьеру, она закончила университет и вышла замуж.  Continue reading

Buchrezension: Begegnungen feindlicher Brüder

«Begegnungen feindlicher Brüder. Zum Verhältnis von Anarchismus und Marxismus in der Geschichte der sozialistischen Bewegung»

Philippe Kellermann (Hg.)

Unrast Verlag, 2011, ISBN 978-3-89771-505-9, 14 Euro

Seitdem es eben diese „feindlichen Brüder“ gibt, wurde praktisch permanent etwas zu ihrem komplizierten Verhältnis untereinander geschrieben. Beide Seiten produzierten fleißig Schmähschriften, etwas weniger fleißig waren leider diejenigen, die sich ernsthaft darum bemühten, zwischen den scheinbar unversöhnlichen Positionen zu vermitteln, damit sie sich wenn nicht in einer Synthese vereinen, dann wenigstens gegenseitig bereichern. Solche Schriften sind auch unterschiedlich ausgefallen, manche waren zwar gut gemeint, blieben aber eher oberflächlich, andere – und du solchen zähle ich das von Phillippe Kellermann herausgegebene Buch – versuchen tiefer zu bohren. Es wäre natürlich nur ein Anfang, oder eher die Fortsetzung der Debatte, denn es ist schier unmöglich, alle Aspekte und Einzelheiten des Streits zwischen Marxismus und Anarchismus in einem dünnen Buch zu beleuchten. Wie vielfältig die Aspekte sein können – davon zeugen die im Buch versammelten Aufsätze. So kommen z.B. Wolfgang Eckhard und Karl Reiter in ihren Beiträgen zum selben Thema, zum Konflikt zwischen Marx und Bakunin bezüglich der Staatlichkeit, zu diametral entgegengesetzten Schlüssen. Antje Schrupp schafft aber im darauf folgenden Beitrag diese Konfliktlinien zu relativieren, indem sie andere aufmacht – nämlich wie widersprüchlich die Frage nach der Emanzipation der Frau in der Ersten Internationale diskutiert wurde. Kellermanns Auseinandersetzung mit Sorel, sich vermeintlich auf Marx, in der Tat aber auf den irrationalistischen Philosophen Henri Bergson beziehenden Syndikalisten, macht richtig Lust sich Sorels Ideen, die sich eher für Rechte als für Linke als nützlich erwiesen haben, näher anzuschauen. Dasselbe gilt auch für Jens Kastners Aufsatz über Antonio Gramsci, dabei sei angemerkt, dass die Auseinandersetzung noch vor Jahren begonnen wurde (siehe GWR 293, 2004), und in ihrer aktuellen Form (logischerweise) viel mehr Sinn macht.

Auch ein angespanntes Verhältnis zwischen der rätekommunistischen Strömung und Anarchismus kommt an mehreren Stellen zur Sprache, was hoffentlich viele LeserInnen animieren wird, weiter in die Richtung nachzuforschen. Trotz des positiven Bezugs Robert Foltins auf die neuere Sozialdemokratie, die in erster Linie durch Hardt und Negri gehypet wird, was m.E. einfach eine falsche Alternative ist, ist wegen seiner schonungslosen, aber solidarischen Kritik an anarchistischer Begriffslosigkeit gerade was den Erzfeind des Anarchismus, den Staat angeht, interessant. Zu dieser Begriffslosigkeit hat sowohl der berühmt-berüchtigte Umstand beigetragen, dass die Geschichte die abstrakte Staatskritik „klassischer“ AnarchistInnen bestätigte und ihre Aktualisierung oft vernachlässigt wurde, als auch die explizite Weigerung vieler AnarchistInnen, sich mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zu befassen, ohne die das Erfassen der modernen Staatlichkeit kaum möglich sein wird.

Hoffen wir also, dass die Erkenntnis für beide Seiten des Konflikts (der keiner sein sollte) wichtiger ist, als das Verharren in historisch längst überholten Identitäten und zahnlosen jugendlichen Subkulturen. Hoffen wir auch, dass diese durchaus gelungene Aufsatzsammlung zur Erkenntnis beiträgt.

Ndejra

[erschienen in der Oktober-Ausgabe von Gai Dao, der Zeitung der FdA]

“Читай, верстай, распространяй!”

Симпатичный бложек “Хорошие книги для хороших людей” предлагает действительно кое-что хорошее в читабельной и слушатебельной форме (хотя большей частью тру-актвистское чтиво, но тем не менее).

Любить и жаловать!

Анархистские перспективы

Габриэль Кун

Видение зачастую так называемого «классического анархизма» можно было относительно легко определить. Несмотря на различные направления — от мутуализма Прудона до анархо-коммунизма Кропоткина — существовало совместное стремление к обществу без государства и классов, обществу, отмеченному равенством и справедливостью. По крайней мере, так можно было сказать о большей части анархистского движения, часто обобщаемого под названием «социального анархизма». Видения индивидуалистских анархисток и анархистов были ясны куда реже. К примеру, «союз эгоистов» Штирнера мог означать многое — или, с определённой точки зрения, вообще ничего.

Примерно в 1920-м году классический анархизм впал в тяжёлый кризис. Государственные репрессии, национализм Первой мировой войны и большевистская революция разрушили структуру, энергию и надежды движения. Короткая эйфория, зародившаяся с началом Испанской революции вскоре сменилась горьким разочарованием поражения. В последующие десятилетия анархизм практически не обладал значением. Continue reading

Ein phänomenologisch-geographischer Versuch über Würzburg mit psychologischen und gynäkologischen Komplikationen

Es ist nicht immer von Bedeutung, wie mensch sich mit solchen Gedanken ansteckt. Nur manchmal ist es nützlich, sich während der teilnehmenden Beobachtung zu vergewissern, wo mensch steht und wie mensch hingekommen ist. Wie ein gewisser Alexej Zvetkow, einer der neu-linken Gurus der post-sowjetischen Epoche, vor langer Zeit schrieb: Suche nicht das Guerilla Radio, es findet dich selbst. Früher oder später wird das schon geschehen, wenn du auf der „richtigen“ Welle bist. Wir wissen, die Welle ist eigentlich gar nicht richtig, sondern grudfalsch in dieser Welt, aber das ist gerade das Spannende an ihr. Und das Guerilla Radio hat vielleicht was mit Guerilla, aber nicht wirklich mit Radio zu tun, lassen wir das lieber undefiniert. Dieses Etwas wird aber im Folgenden weiter so bezeichnet.

Selbst diejenigen von uns, die eine glückliche sowjetische Kindheit führen konnten (bzw. mussten – wer wurde da schon gefragt?), d.h. nicht sehr weit hinter der Polarkreisgrenze in den sogenannten Kinderkombinaten eingesperrt, der zwischenmenschlichen Wärme systematisch entwöhnt und dazu von etwas, was sich als Schicksal ausgibt, verdonnert, für den Rest des so genannten Lebens jeden Frühling mickrige Kartoffeln in der lehmigen Erde zu verbuddeln, um sie im Herbst wieder (und in derselben Menge) auszugraben, wurden vom Guerilla Radio erreicht. Die einzige Gelegenheit für ein Kind, in der trostlosen Tundra ein wenig Farbe zu sehen, war die wunderbare Kinderzeitschrift namens „Wesjolyje Kartinki“. Eben für diesen Zweck auf Empfehlung vom höchsten Rat der Kinderärzte der UdSSR gegründet, erfüllte sie noch eine wichtige ideologische Aufgabe: sie sollte suggerieren, dass es irgendwo noch etwas außer der Tundra existiert bzw. schon sehr bald existieren wird. Genau da gelang es dem Guerilla Radio, von Zensurbehörden unbemerkt, das Ambivalente des Heillandversprechens auszunutzen, sich in die Spaltung einzuklinken und eine furchtbare Sabotageakt an der Kindererziehung durchzuführen. Der Saboteur, der in diese Geschichte leider als namenloser Zeichner eingehen wird, ließ ganz offiziell Abertausenden von kleinen grimmigen Menschleins ein Brettspiel als Sonderbeilage zukommen, wo er zwei Pioniere – Mascha und Sascha – auf einen psychogeographischen Trip durch Moskau schickte.

Zarte kindliche Gemüter entwickelten eine Persönlichkeitsspaltung, indem sie immer und immer wieder Mascha und Sascha durch ihre bunten Abenteuer auf dem Brettspiel begleiteten und sich in ihre Lage versetzten. Das massenhafte Auftreten von Kindern, die mit suspekt leuchtenden Augen durch die Gegend rannten, Selbstgespräche führten, die darauf bestanden, dass sie etwas komplett Anderes auf den Straßen sehen, und sich auf irgendwelche Mascha und Sascha als Zeugen beriefen, ist zwar von Kinderpsychologen dokumentiert, aber nicht erklärt worden. Das so genannte „Mascha-Sascha-Syndrom“ konnte nur durch das harte pädagogische Eingreifen fast vollständig verdrängt und beseitigt werden. Continue reading

Йиппиииии!

Наконец-то “Анархия в эпоху динозавров” попала в мои руки в книжной цивильной форме! Это приятно. Well done.

Что неприятно – то, что многоуважаемое издательству оказалось не по силам написать мой псевдоним правильно, хотя, в общем-то, что Ndejra, что Ndjera – анаграмма верна и так, и сяк. Но уж если мы переводили эту книгу безвозбранно, то это не ещё не повод относиться к нам с таким неуважением. Или как оно там вам видится, Гилея?

Рекурсивный дисриспект.

Das Schlachten beenden! Und den Bock zum Gärtner machen?

Zur Kritik der Gewalt an Tieren. Anarchistische, feministische, pazifistische und linkssozialistische Traditionen

Verlag Graswurzelrevolution, 2010

192 Seiten, 14,90 Euro

ISBN 978-3-939045-13-7

Der anarcho-pazifistische Verlag hat uns 2010 ein seltsames Buch vorgelegt. Der Zweck der Publikation war es, anzudeuten, dass Diskussionen und Kämpfe für das würdevolle Dasein der Tiere nicht die Sache der bürgerlichen gutbetuchten Mittelschichten gewesen sind, und das auch nicht erst seit Peter Singer. Es ist in der Tat möglich, zu zeigen, dass politisch praktizierte vegane oder vegetarische Lebensweise durchaus in der kämpferischen proletarischen Tradition ihre Wurzel hat, dass sie dort seit jeher mitgedacht und praktiziert wurde. Es mag sogar gar nicht so falsch sein, dass die im Buch abgedruckten historischen Texte alle vor dem 2. Weltkrieg und vor der Shoa (ein Liebligsvergleich der militanten VeganerInnen für industrielle Massentierhaltung) geschrieben wurden, das Buch ist ja immerhin als „historische Spurensuche“ gemeint. Insofern ist es vollkommen OK, Widersprüche einer äußerst widersprüchlichen Bewegung zu dokumentieren.

Ob Renate Brucker sich etwas anderes vorgestellt hat, schwer zu sagen – sie stellt sich aber in der Einführung auf die Seite der Argumentation für die Tierrechte. Anscheinend waren die Tierrechte Programm dieser Aufsatzsammlung. Gemeint ist somit nicht so sehr ein allgemein anerkanntes “Naturrecht”, sondern letzten Endes auch in irgendeiner Form im positiven Recht verankerte Feststellung, dass das Tier eben das Recht auf sein Leben und darauf, vor Grausamkeit geschützt zu werden, unmittelbar erhält, weil es ein Tier ist.

Inhaltlich bietet das Buch spannende und weniger spannende Beiträge zum Thema, von diversen AutorInnen aus dem Umfeld der GWR kommentiert. So appelliert z.B. der inbrünstige Christ Leo Tolstoj an das Mitgefühl der Menschen mit geschundenen Tieren, der menschlichen Seele, sprich der seelischen Integrität wegen. Der anschließende Exkurs über die Sekte der Duchoborzen mag theoretisch mit dem Thema nicht viel zu tun zu haben, kann aber ein Beispiel für ein großes Kollektiv geben, das sein Leben nach gewaltfreien und kommunistischen Prinzipien gestaltete. (Außerdem bin ich persönlich von solch religiösen feurigen Wahn immer wieder fasziniert, lese also gerne solche Sachen). Eben so verfährt auch einer der anarcho-kommunistischen „Klassiker“ – Elisee Reclus. Er bittet die Menschen, die Welt etwas schöner und (jetzt Achtung!) menschlicher zu gestalten, indem sie auf Tierausbeutung verzichten. Dasselbe könnte mensch auch von Magnus Schwantjes Perspektive sagen: Er zeigt Parallelen zwischen Tier- und Menschenmord auf, die beide doch auf das Eine hinauslaufen – auf die furchtbare Verrohung und Unbewohnbarkeit der Welt. Der einzige Beitrag im Buch, der eindeutig eine Pro-Tierrechte-Position einnimmt, ist der von der holländischen Juristin und Feministin Clara Wichmann. Die einzige vertretene hier Juristin nimmt es auch ernst und plädiert dafür, den Tieren mittels Gesetz und Staatsgewalt das Recht auf Unversehrtheit und Eigentum anzuerkennen. So weit so gut, aber spätestens dann, wenn die Rede von „ökonomisch vom Menschen abhängigen Tieren“ ist, oder dann, wenn Wichmann fordert, die entlaufenen oder nicht registrierten Hunde nur nach einem Gerichtsprozess zu töten, merkt mensch, dass das wohl eine verkehrte Perspektive ist. Ja, außer Anmerkungen am Rande, dass Frauen, Kinder und Tiere in der patriarchalen Gesellschaft unterdrückt werden, ist von der angekündigten feministischen Tradition nicht viel zu spüren.

Der wirklich interessante Artikel wurde bis zum Ende aufgehoben, als ob es Absicht war. Willi Eichler vom Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) polemisiert gegen einen Opponenten, der gegen die vegetarische Lebensweise argumentiert, führt aber das einzig fassbare, weil radikal subjektivistische, Argument: ausgebeutete Proletarier haben ein prinzipielles Problem mit der Ausbeutung, verzichten also auf die Ausbeutung der Tiere. Den Tieren sieht mensch nämlich an, dass es auch nicht gerade genießen, ausgebeutet zu werden. Den Pflanzen eben nicht. Deswegen: Vegetarismus. Ein wenig merkwürdig, dass gerade von einem Vertreter linkssozialistischer Organisation mit autoritären Tendenzen, die später zum Teil in der SPD aufgegangen ist, eine so schön formulierte Polemik mit Bezug auf Kant (der philosophische Gegner der Tierrechte) kommt, aber sei es so. Wenn die im Buch zu Wort kommenden anarchistischen Herren ihre gutmenschlichen Positionen nur mit eigenen Erfahrungen, aber nicht philosophisch belegen können, ist es sehr wohl ein Problem. Aber es reicht, um zu zeigen, dass die Versöhnung zwischen Mensch und Natur vom Menschen ausgehen soll. Was nicht geht – dem Staat immer mehr in der Rechtsform verschlüsselte Aspekte des Lebens auszuliefern, und auf ihn dann als auf einen Pädagogen zu vertrauen, der uns mit seinem Gewaltapparat die Grausamkeit schon austreiben wird. (Und – mit Verlaub – so verhält es sich auch mit Menschenrechten). Den Bock zum Gärtner machen, war das etwa die „anarchistische“ Idee hinter dem Buch, die dank der einzelnen Beiträge doch nicht aufgegangen ist? Schön, dass es nicht geklappt hat und daraus ist ein wunderbar widersprüchliches Buch geworden.