[An dieser stelle dokumentieren wir einen alten Text des ISF aus Freiburg, der in gedruckter Form kaum mehr erhältlich ist. Es schmeißen sich alle z.Z. wie verrückt an das Thema „Oktoberrevolution“ und dieser Text ist ein guter Beitrag dazu. – liberadio]
Initiative Sozialistisches Forum
l.
Was die französische Revolution für das Bürgertum, das ist die russische für die Linke: Ideal und Schreckbild zugleich. Für die einen ist sie der verwirklichte Traum von einer erfolgreichen sozialistischen Eroberung der Macht, für die anderen zeigt sich in ihr der praktisch vollzogene Verlust des Willens zur Emanzipation. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Das revolutionäre Rußland proklamierte gegen diese abstrakten Menschenrechte der Besitzbürger die praktischen Rechte der Produzenten: Land, Brot, Arbeit, Frieden. Und wollte auf diesem Wege die unerfüllt gebliebenen Versprechen der bürgerlichen Gesellschaft erst noch wirklich einlösen.
Wie jede bloß politische Revolution erlag auch die russische der fatalen Dialektik der Macht. Schon der Jakobinismus war genötigt, die Humanität der Parole von ,Liberté, Egalité, Fraternité’ in den Zynismus von Infanterie, Kavallerie und Artillerie zu übersetzen. Dies nicht aus purer Böswilligkeit: In Politik transformiert und als Staatlichkeit auf den Begriff gebracht, naturalisiert nicht nur das humanistische Ideal von einer natürlich gegebenen Gleichheit den konkreten Menschen zwangsläufig zum bloßen Material und Rohstoff für Herrschaft – jedes abstrakte Ideal ist die Währung für das, was in der Münze konkreter Repression in Umlauf gebracht wird. Und so haben weder die französische, noch die russische Revolution das Individuum befreit: Sie haben die Menschen vielmehr in Staatsbürger umgeformt.
In der auf die modernen ,Großen Revolutionen’ folgenden terroristischen Gleichschaltung offenbart sich die gesellschaftliche Wahrheit jeder Utopie von allgemeiner Gleichheit (egal, ob nun die auf dem Markt, die vor dem Gesetz, oder eine vor der Natur gemeint sein soll): Allgemeine Gleichheit kann immer nur gelten ,ohne Ansehen der Person’. Und wie das Ideal allgemeiner Gleichheit sich nur in Form von Gleich-Schaltung politisch verwirklichen (und staatlich garantieren) läßt, so kann aus der praktischen Realisierung der Forderung nach allgemeinen Freiheitsrechten nicht die Freiheit des einzelnen Menschen resultieren. Schon im Schicksal der Forderung nach Gewerbefreiheit zeigt sich, daß mit ihr nicht das gemeint gewesen sein kann, was sich die Massenbasis der Revolution unter ihr vorstellen mußte: Die Revolution brachte eben nicht die Freiheit vom Zwang zum Gewerbe. Vielmehr ist durch die bürgerlichen Revolutionen hindurch die kapitalistische Warenwirtschaft zum gesellschaftlich organisierten Schicksal geworden. Was als Freiheit vom Gewerbe eingeklagt wurde, erwies sich sehr schnell als der in der Folge der bürgerlichen Revolutionen institutionalisierte Zwang, überhaupt ein Gewerbe, und gleichgültig welches, ausüben zu müssen. Gesellschaftlich dechiffriert liest sich die Erklärung der Menschenrechte als die gewaltsam garantierte Verpflichtung zur kapitalistischen Produktion.
Die Revolution war liquidiert, als die Revolutionäre an die Macht kamen. Wie Robespierre und St. Just in Frankreich, so erging es Lenin und Trotzki in Rußland. Die Revolution gegen den Staat transformierte sich in eine bloße Regierungsübernahme; angetreten, Souveränität zu zerstören, konnten die Bolschewiki sich nur behaupten, indem sie Souveränität intensivierten. Unter dem historischen Zwang, die Einheit der staatlichen Gewalt erhalten, oder aber die eroberte Macht an die Weißen abgeben zu müssen, organisierte die Sowjetmacht nicht die Befreiung von der Arbeit, sondern den Arbeitszwang. Das sozialistische Ideal der gesellschaftlichen Gleichheit aller vor dem naturgegebenen Zwang, sein Leben reproduzieren zu müssen, erwies sich, zur Politik erhoben, als die Naturalisierung des Menschen zum lebendigen Behälter von Arbeitskraft. „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen“ – die sozialistische Kritik am Lotterleben und Müßiggang, am erpreßten Zinseszinsleben der parasitären Kapitalisten erwies sich im Gefolge der russischen Revolution als Fortsetzung des Kapitalismus mit anderen Mitteln. Continue reading