Alexej Zvetkow
„Stand up as you would for the Marseillaise or God Save The King.
Stand up, as if the Flag were before you. Or as if you were in the presence
of Dada, which signifies Life, and which accuses you of loving
everything out of snobbery if only it is expensive enough.“
Francis Picabia, „Manifeste cannibale“ (1920)
In Gesprächen über Emanzipation gilt die wichtigste Frage dem Subjekt. Wer emanzipiert sicheigentlich, und wovon? Es muss eine genaue Adresse genannt werden. Selbst wenn die Emanzipation, d.h. das Aufheben der Entfremdung in ihren ökonomischen, herrschaftlichen und symbolischen Formen möglich ist, wer ist zu ihr fähig?
Das zu Ende gegangene Jahrhundert kennt genügend Beispiele, damit mensch behaupten kann: die Befreiung gigantischer Kollektive, in denen Selbstverwaltung aufgrund ihrer Größe nicht möglich ist, wurde zur größeren Sklaverei für Mitmenschen und zur Niederlage für diese neuen holprigen Systeme selbst, die nicht in die postindustrielle Landschaft des Lebens passen. Die sich befreiende Nation, die Klasse, der zivilisatorische Typ, der „kulturelle Raum“ – das war alles zu viel, der Körperumfang solcher Modelle widersetzt sich der Levitation, die die Freiheit bestätigt. Es kam entweder zu einer roten Diktatur oder zu einem braunen Reich.
Die umgekehrte Extreme, die aus der oben genannten Beobachtung entsteht, ist der klinische Individualismus, der übertriebene Kult allgemeiner „Besonderheit“, der „Einzigartigkeit“ und das „Fehlen allgemeiner Rezepte“ – eine Wonne für Infantile aller Zeiten und Epochen. Ein Mensch, eine abgesonderte Persönlichkeit, eine tätige Seele, ein experimentierendes Bewusstsein – das ist zu wenig für das Befreiungsprojekt.
Die Hoffnung, dass die Entfremdung durch gigantische soziale Mechanismen überwunden wird, brachte im vergangenen Jahrhundert Totalitarismus in all seinen uns bekannten Varianten hervor. Das Vertrauen auf den „einsamen rebellierenden Helden“, der nach der unaussprechlichen Erfahrung einer wahren Existenz sucht, führte viel zu viele wenn nicht zum Selbstmord, dann zum Psychiater. Der totalitäre Optimismus, der die Welt erschreckend einfach und grausam macht, und der liberale Pessimismus, der durch die Unmöglichkeit, alleine auf die Qualität des Daseins einzuwirken, entsteht – das sind Szilla und Charybdis eines jeden radikalen Projektes. (1) Continue reading “Die Superpräsenz” →