Zur Kritik der Gewalt an Tieren. Anarchistische, feministische, pazifistische und linkssozialistische Traditionen
Verlag Graswurzelrevolution, 2010
192 Seiten, 14,90 Euro
ISBN 978-3-939045-13-7
Der anarcho-pazifistische Verlag hat uns 2010 ein seltsames Buch vorgelegt. Der Zweck der Publikation war es, anzudeuten, dass Diskussionen und Kämpfe für das würdevolle Dasein der Tiere nicht die Sache der bürgerlichen gutbetuchten Mittelschichten gewesen sind, und das auch nicht erst seit Peter Singer. Es ist in der Tat möglich, zu zeigen, dass politisch praktizierte vegane oder vegetarische Lebensweise durchaus in der kämpferischen proletarischen Tradition ihre Wurzel hat, dass sie dort seit jeher mitgedacht und praktiziert wurde. Es mag sogar gar nicht so falsch sein, dass die im Buch abgedruckten historischen Texte alle vor dem 2. Weltkrieg und vor der Shoa (ein Liebligsvergleich der militanten VeganerInnen für industrielle Massentierhaltung) geschrieben wurden, das Buch ist ja immerhin als „historische Spurensuche“ gemeint. Insofern ist es vollkommen OK, Widersprüche einer äußerst widersprüchlichen Bewegung zu dokumentieren.
Ob Renate Brucker sich etwas anderes vorgestellt hat, schwer zu sagen – sie stellt sich aber in der Einführung auf die Seite der Argumentation für die Tierrechte. Anscheinend waren die Tierrechte Programm dieser Aufsatzsammlung. Gemeint ist somit nicht so sehr ein allgemein anerkanntes “Naturrecht”, sondern letzten Endes auch in irgendeiner Form im positiven Recht verankerte Feststellung, dass das Tier eben das Recht auf sein Leben und darauf, vor Grausamkeit geschützt zu werden, unmittelbar erhält, weil es ein Tier ist.
Inhaltlich bietet das Buch spannende und weniger spannende Beiträge zum Thema, von diversen AutorInnen aus dem Umfeld der GWR kommentiert. So appelliert z.B. der inbrünstige Christ Leo Tolstoj an das Mitgefühl der Menschen mit geschundenen Tieren, der menschlichen Seele, sprich der seelischen Integrität wegen. Der anschließende Exkurs über die Sekte der Duchoborzen mag theoretisch mit dem Thema nicht viel zu tun zu haben, kann aber ein Beispiel für ein großes Kollektiv geben, das sein Leben nach gewaltfreien und kommunistischen Prinzipien gestaltete. (Außerdem bin ich persönlich von solch religiösen feurigen Wahn immer wieder fasziniert, lese also gerne solche Sachen). Eben so verfährt auch einer der anarcho-kommunistischen „Klassiker“ – Elisee Reclus. Er bittet die Menschen, die Welt etwas schöner und (jetzt Achtung!) menschlicher zu gestalten, indem sie auf Tierausbeutung verzichten. Dasselbe könnte mensch auch von Magnus Schwantjes Perspektive sagen: Er zeigt Parallelen zwischen Tier- und Menschenmord auf, die beide doch auf das Eine hinauslaufen – auf die furchtbare Verrohung und Unbewohnbarkeit der Welt. Der einzige Beitrag im Buch, der eindeutig eine Pro-Tierrechte-Position einnimmt, ist der von der holländischen Juristin und Feministin Clara Wichmann. Die einzige vertretene hier Juristin nimmt es auch ernst und plädiert dafür, den Tieren mittels Gesetz und Staatsgewalt das Recht auf Unversehrtheit und Eigentum anzuerkennen. So weit so gut, aber spätestens dann, wenn die Rede von „ökonomisch vom Menschen abhängigen Tieren“ ist, oder dann, wenn Wichmann fordert, die entlaufenen oder nicht registrierten Hunde nur nach einem Gerichtsprozess zu töten, merkt mensch, dass das wohl eine verkehrte Perspektive ist. Ja, außer Anmerkungen am Rande, dass Frauen, Kinder und Tiere in der patriarchalen Gesellschaft unterdrückt werden, ist von der angekündigten feministischen Tradition nicht viel zu spüren.
Der wirklich interessante Artikel wurde bis zum Ende aufgehoben, als ob es Absicht war. Willi Eichler vom Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) polemisiert gegen einen Opponenten, der gegen die vegetarische Lebensweise argumentiert, führt aber das einzig fassbare, weil radikal subjektivistische, Argument: ausgebeutete Proletarier haben ein prinzipielles Problem mit der Ausbeutung, verzichten also auf die Ausbeutung der Tiere. Den Tieren sieht mensch nämlich an, dass es auch nicht gerade genießen, ausgebeutet zu werden. Den Pflanzen eben nicht. Deswegen: Vegetarismus. Ein wenig merkwürdig, dass gerade von einem Vertreter linkssozialistischer Organisation mit autoritären Tendenzen, die später zum Teil in der SPD aufgegangen ist, eine so schön formulierte Polemik mit Bezug auf Kant (der philosophische Gegner der Tierrechte) kommt, aber sei es so. Wenn die im Buch zu Wort kommenden anarchistischen Herren ihre gutmenschlichen Positionen nur mit eigenen Erfahrungen, aber nicht philosophisch belegen können, ist es sehr wohl ein Problem. Aber es reicht, um zu zeigen, dass die Versöhnung zwischen Mensch und Natur vom Menschen ausgehen soll. Was nicht geht – dem Staat immer mehr in der Rechtsform verschlüsselte Aspekte des Lebens auszuliefern, und auf ihn dann als auf einen Pädagogen zu vertrauen, der uns mit seinem Gewaltapparat die Grausamkeit schon austreiben wird. (Und – mit Verlaub – so verhält es sich auch mit Menschenrechten). Den Bock zum Gärtner machen, war das etwa die „anarchistische“ Idee hinter dem Buch, die dank der einzelnen Beiträge doch nicht aufgegangen ist? Schön, dass es nicht geklappt hat und daraus ist ein wunderbar widersprüchliches Buch geworden.