Wir nehmen die Konzerte namhafter Pagan- bzw. Viking-Metalbands Arkona und Varg am Veranstaltungsort Hellraiser in Leipzig bloß zum Anlass, uns einige Gedanken über regressive Tendenzen in dieser speziellen Sparte der Kulturindustrie zu machen. Es handelt sich unserer Meinung nach – vorab in Klartext – nicht um die Bands, die offen extrem rechtes Gedankengut verbreiten, da gäbe es zu genüge andere. Die beiden Bands jedoch weisen sehr spezifische textlich-ideologische und musikalische Muster auf, die sich durchaus in Bezug auf die gesamte Folk-, Viking- oder Paganmetal-Szene verallgemeinern ließen. Die Tatsache, dass diese Sparte der Metal-Musik sich wachsender Beliebtheit erfreut, dass Bands wie Varg und Arkona europa- bzw. deutschlandweit spielen können – und zwar meistens in solch renommierten Locations wie z.B. in Leipziger Hellraiser oder auf großen Festivals – sind uns Grund zur Sorge. Freilich schlagen die VeranstalterInnen solche Angebote der Touring-Agenturen nicht ab: warum sollten sie, wenn das Publikum genau das sehen und hören will? Nur, was sagt das über das Publikum aus? Doch eins nach dem anderen.
Die Viking-Metalband Varg aus Coburg wird womöglich dem deutschen Publikum bekannter sein. 2009/2010 jedenfalls war die Band auch denen ein Name, die sich mit „Rechtsrock“ oder oder so genannten „Grauzonen-Bands“ beschäftigten. Damals schien Varg, deren erstes Album „Wolfszeit“ (2007) auf dem bekannten rechten „Heidenklangwerke“-Label erschien, den Aufstieg ins seriöse Musikgeschäft zu schaffen: der Deal mit dem großen Musiklabel Nuclear Blast hatte die Band in der Tasche und sollte 2010 auf Wacken Open Air spielen, dem größten europäischen Metal-Festival. Da sorgte die Band um den Frontmann Philipp Seiler sich um ihr Image und distanzierte sich schlagartig von ihrer zwielichtigen Vergangenheit, von all den rechtslastigen bzw. offen rechten Szene-Kumpels, mit deren Einstellungen sie davor kein Problem gehabt hatte. Seiler startete Kampagnen gegen Unterwanderung der Black- und Viking-Metalszene durch Nazis, sprach sich mehrmals öffentlich gegen solche Phänomene wie National-Socialist Black-Metal aus, bereute seine eigenen „Jugendsünden“ usw. (1) Auf dem Wolfszeit-Festival, den Seiler veranstalten, verbat man plötzlich NSBM-Bands und deren Symbolik bzw. Merchandising. Die rechte Metal-Szene rächte sich und startete eine Hetz-Kampagne gegen Varg und Seiler persönlich. Jedenfalls glaubt das Seiler: der ehemalige Kumpel und Geschäftspartner Hendrik Möbus (bekannter Neonazi, einer der Protagonisten des NSBM in der BRD, 2) gäbe sich im Internet für empörte Antifaschisten aus und stecke hinter der ganzen Hetze. (Als etwas verwirrte Antwort kann man Vargs Song „Alter Feind“ vom 2010er Album „Blutaar“ betrachten: da werden „Antifa“ und „Nazischwein“ als durchaus synonym verwendet). Der Konflikt ist ausreichend dokumentiert. (3) Dem Nuclear Blast wurde es zu bunt und Varg verloren den Vertrag mit dem Major-Label, es gelang ihnen jedoch ihren Namen weißzuwaschen und sich als „unpolitische“ Band zu etablieren, als die sie erfolgreich durch das Land touren und Metal-Presse wohlwollend besprochen werden.
Arkona aus Russland (nicht zu verwechseln mit der ebenfalls russischen NSBM-Band!) dürften inzwischen auch in ganz Europa recht bekannt sein. Zumindest seit ihrem Deal mit dem Label Napalm Records 2009 sind die Pagan-Metaler oft in Europa unterwegs und werden von der Fachpresse hochgelobt. Arkona gibt es unter diesem Namen seit 2002, die Band setzt sich aus Musikern aus unterschiedlichen Bands, die sich mehr oder weniger projektgebunden um die Frontfrau Maria „Scream“ Arkhipowa gruppieren, mit ihr Alben einspielen und auf Tour gehen. Im Unterschied zu Varg lässt sich Arkona nicht so einfach in die rechte Ecke stellen: Verbindungen zu rechten Kreisen sind weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart nachweisen, eindeutige Statements zu gesellschaftlich-politischen Themen hört man von der Band äußerst selten. Nur, als heißer Tipp wird die Band in Russland nicht nur in Metalkreisen gehandelt, sondern auch unter NationalistInnen, die anspruchsvollere Musik als den klotzigen Rechtsrock mögen. Arkona kann freilich wenig dafür bzw. dagegen: die Band gibt sich betont unpolitisch und ist so weltabgewandt, dass sie sich nicht ein mal vom rechten Gedankengut distanzierte, als die Polizei im Februar 2009 ein Konzert in St. Petersburg unterbrach, um nach Neonazis zu fahnden. Die Band sprach in ihrer Presseerklärung dagegen von „einigen Vertretern der Subkultur, wegen welcher alle Konzertbesucher und sie Band selbst gelitten hat“. (4) Die Abgrenzung wird schwierig: man kann ja nicht so genau sagen, ob ein Konzertbesucher begeistert einen angeblichen urslawischen Gruß „vom Herz zur Sonne“ oder einen Hitler-Gruß zeigt, sie sehen zum Verwechseln ähnlich aus. (5)
Den Hintergrund beider Bands bildet noch ganz eindeutig Black-Metal. Die brachialen und dennoch sehr melodiösen Tremolo-Riffs, Blastbeats und der kreischende Gesang finden sich sowohl auf „Wolfszeit“ von Varg als auch auf „Wosrozhdenije“ oder „Lepta“ von Arkona. Die beiden Bands machten eine Entwicklung durch, der Sound wurde aufpoliert, das musikalische Können ist bemerkbar gewachsen. Mittlerweile lässt sich die Grundstruktur der Songs der beiden Bands eher dem Melodic Death-Metal zuordnen, sie ist besser nachvollziehbar und bildet sich auf schonungslosem Durchexerzieren der Moll-Tonleiter. Nur einprägsame, der Folklore entlehnte Melodien auf Gitarre oder – wenn man’s ernster angeht – auf volkstümlichen Instrumenten gespielt, sind geblieben: das dürfte das ganze musikalische Rezept (mal vom Textlichen angesehen) des Pagan-, Vikinger, oder Folkmetal ausmachen. (Die Unterschiede zwischen den Sparten werden wohl eher an Kostümierungen auf der Bühne ausgemacht). Natürlich ist der Spielraum groß, wer sich ernsthaft mit dieser Sorte Musik beschäftigt, wird die einzelnen Bands auch noch auseinander halten können. Mit unseren zwei Beispielen ist es relativ einfach: während Arkona noch starke Black-Metal-Komponenten beibehalten haben und auf ihrem neuen Album (2014) sogar in Richtung Art-Rock vorstoßen, vereinfachten Varg mit der Zeit ihre Musik und wurden zu einer Art Böhsen Onkelz des Metal. An dieser Stelle sind natürlich auch Texte wichtig.
Allerdings ersparen wir uns und der Leserschaft das mühsame (und, zugegeben, oft langweilige) Durchwühlen der Songtexte, das akribisch jede „böse“ Stelle hervorhebt und anprangert. Gemeinsam ist den beiden Bands (wie wohl allen anderen Bands dieses Genres) die Sehsucht nach einer einfachen, überschaubaren Welt, wo man sofort weiß, wer gut (das sind meistens die eigenen Stammes- bzw. Clanmitglieder, allein aufgrund dessen, dass sie zum selben Stamm gehören) und wer schlecht ist (meistens Fremde, Andersgläubige, die zu alles Harmonische zersetzenden Eindringlingen stilisiert werden). Dementsprechend weiß man auch als eine Art überlieferte Weisheit, was zu tun sei: man zieht in den Krieg und stellt sich dabei so heroisch wie möglich an. Man fabriziert in den Texten ein seltsames Idyll, das aus „Ahnenverehrung“, Naturkitsch und permanenten Krieg gegen alles Fremde besteht. Besser als Mascha Arkhipowa kann man wohl das nicht zum Ausdruck bringen. Für sie, weil das historische Heidentum unwiderruflich verloren ist, basiert das moderne Heidentum „auf Ablehnung und Zurückweisung der modernen Lebensrealität“. (6) Noch ein häufiges Motiv bei Arkona sind allerdings die „dunklen Mächte“ bzw. „Schatten“, die die glücklich lebenden Eingeborenen mittels einer „Sklavenreligion“ knechten. Dies ist ein eindeutig antisemitisches Symptom des Antimodernismus, was auch viele Volk-, Pagan- oder Viking-Metalbands teilen, doch geht Mascha natürlich nie so weit wie z.B. Varg Vikernes und nennt den Feind nie beim Namen. Nur schimmert zumindest bei Arkona auf ihrem letzten Werk „Yav’“ (2014) auch das eigenartige Selbstmitleid, das sichere Wissen vom eigenen unvermeidlichen Untergang durch. (7) Währenddessen beschwören Varg unbeirrt das alte gute „Wir gegen den Rest der Welt“, das zwischen dem Gefühl, wichtig und beliebt zu sein, und dem, gehasst und verfolgt zu werden, oszilliert. Das paranoide Weltbild, das man z.B. von den Böhsen Onkelz und vielen Oi!-Bands kennt. (8)
Auf was wollen wir nun hinaus? Man könnte auch fragen, warum überhaupt die Zeit mit solch harmlosen Erzeugnissen der Kulturindustrie verschwenden? Jene feierwütigen ZeitgenossInnen auf Festivals, die industriell hergestellte alkoholische Getränke vorzugsweise aus bei Merch-Versänden gekauften Trinkhörnern trinken wollen, sind auch nicht unser Feindbild. Warum andererseits sollten wir das nicht ernst nehmen, wenn die „KünstlerInnen“ von sich behaupten, es sei ihnen ernst und damit viel Zuspruch beim Publikum finden? Wir wollen auch nicht jedem Anhänger und jeder Anhängerin unterstellen, rechtes Weltbild zu teilen und morgen in den bewaffneten Untergrund zu gehen. Dennoch manifestiert sich in der Begeisterung für das „Heidnische“, Esoterische, Mittelalterliche und alles „Naturhafte“ der Überdruss des nachbürgerlichen Subjekts an sich selbst und an der Kompliziertheit modernen Welt und der Wunsch, in der Blutsippe aufzugehen und die Welt regressiv zu überwinden. Dass diese Inhalte in Form von Subkulturen und Erzeugnissen der Kulturindustrie als heiß gehandelt werden, ist aus libertärer Sicht besorgniserregend.
für Assoziation Aufklärung und Kritik, Nov. 2014
Fußnoten:
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Wir sind der Meinung, dass all diese Verweise auf „buddhistische“ bzw. „urslawische“ Hakenkreuze und andere „von Nazis bloß entwendete und pervertierte Symbole“ nur ein Versteckspiel ist. Denn soll man erwachsenen Menschen ernsthaft abkaufen, sie wüssten nicht, dass die Welt erstens nicht mehr wie vor Jahrtausenden ist und zweitens Nazis sich bewusst archaischer Symbolik bedienten?
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http://powermetal.de/content/artikel/show-ARKONA__Interview_mit_Masha_Arhipova,7323-1.html
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Denn in der modernen Welt wird kein Platz mehr für solche Idylle geben – wie auch das mittelalterliche Handwerkertum nie mehr zur vorherrschenden Produktionsweise wird. Daher die immer wiederkehrenden pathetische Wendungen in Arkonas Texten a la „wir gehen weg/entschwinden in die Vergangenheit“. Nun, lieber in die Vergangenheit als mit der Waffe in der Hand an die ostukrainische Front, wahlweise auf die pro-russische oder die pro-ukrainische Seite, um die eigene Märchenwelt zu verteidigen.
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Es gibt auch deutlichere Botschaften, wie „Schildfront (Germania)“. Die Wahl der Seiten in diesem Racketkrieg ist nicht immer so frei und willkürlich, wie sie scheint.