[Grigori Maximow (1893 – 1950) – der wohl bekannteste und der letzte russische Anarchist und Syndikalist der „post-klassischen“ Generation, die nach Kropotkin und Karelin kam. Revolutionär, Emigrant, Theoretiker, Wobbly aus Chicago. Es gibt schon Gründe, warum die “anarchosyndikalistischen” „internationalistischen“ Larper von der KRAS ihn nicht so gerne zitieren, sich überhaupt an ihn erinnern. Er war nämlich nicht so „links-schlau“, wie seine heutigen Erben, die todsicher „wissen“, dass in der Nacht der Abstraktion alle Katzen schwarz seien. Wohl auch nicht so „verkopft“ wie der andere bekannte gelehrte „Syndikalist“ seiner Generation, Alexej Borowoj, der eher ein irrationalistischer Sorelianer und tendenziell auf dem Weg nach rechts war. – liberadio]
Der Krieg ist bereits eine alptraumhafte Realität. Wie abgerichtete Hunde erheben sich die Menschen auf das Kommando ihres Herrn und ziehen in einen blutigen Kampf: Sie töten sich gegenseitig, schneiden, stechen, verstümmeln, entstellen einander, verbrennen und zerstören Dörfer, Weiler und Städte, zerstören alles, was durch harte Arbeit aufgebaut wurde, um die Bedürfnisse und Anforderungen der Menschen zu erfüllen. Dieses Verhalten der Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts ist merkwürdig. Denn dieselben Menschen, die sich gegenseitig umbringen und dabei selbst zugrunde gehen, würden vor Entsetzen und Empörung erschaudern, wenn sie sehen, dass in der friedlichen Umgebung ihrer Stadt oder ihres Dorfes vor ihren Augen Morde begangen werden. Und dieses Entsetzen und diese Empörung hätten sich unabhängig von der Nationalität des Mörders und des Opfers mit gleicher Kraft manifestiert. Und nun sind sie selbst sowohl Mörder als auch Opfer.
Wie ist diese seltsame Tatsache zu erklären? Der gewöhnliche Mörder ist motiviert durch egoistische Motive, die aus dem Privateigentum erwachsen – der Wunsch, das Gut eines anderen, das Eigentum eines anderen zu nehmen. Werden etwa die modernen Soldaten und Völker, die zu Soldatenheeren gemacht werden, von diesen Motiven geleitet? Es ist eine unbestreitbare Wahrheit, dass Krieg ein Massenraub ist, vom Massenmord begleitet. Der Krieg entstand aus der Plünderung, und die Plünderung ist nach wie vor die Grundlage der modernen Kriegsführung. Wenn in der Antike ein Stamm einen anderen Stamm angriff, wurde er von denselben Motiven geleitet, die auch die gemeinen Räuber unseres großartigen kapitalistischen Systems leiten. Jeder, der sich an dem Angriff beteiligte, riskierte sein Leben, um die Beute zu erlangen, und wenn er erfolgreich war, bekam er sie. Hier haben wir ein direktes persönliches Interesse. Wenn im Mittelalter ein Fürst oder ein König, ein Baron oder ein Herzog seine Truppen zum Plündern anführte, zahlten sie den Truppen einen Sold und gaben ihnen im Erfolgsfall Land und Macht. Und obwohl hier die gesamte Beute an den Prinzen oder den König ging der König, hatten alle Beteiligten ein Interesse an der Beute. Dann kam der Staat – die prächtigste und raffinierteste Erfindung vom Zwecke der Plünderung und der Gewalt. Er erklärte sich selbst zur Personifizierung der Nation, des Volkes, und setzte an die Stelle des Königs die Idee des Vaterlandes und und erklärte den Raub zur Verteidigung des Vaterlandes, zur Verteidigung der nationalen oder Volksinteressen. Unter dem Deckmantel der vaterländischen und nationalen Interessen forderte und zwang der Staat die gesamte Bevölkerung, sich unentgeltlich an der Ausplünderung zu beteiligen, als eine Art heilige Pflicht. Im modernen Raub, genannt Krieg, hat die breite Masse der beteiligten Millionen Menschen kein persönliches Interesse wie die Krieger, d.h. die Räuber der Antike und des Mittelalters, denn die ganze Beute geht an den Staat, an jene mächtigen kapitalistischen Gruppen, deren Interessen als nationale Interessen, als Vaterland, dargestellt werden. Der moderne Staat, dieser moderne gesichtslose Fürst, teilt nicht nur seine Beute nicht mit seinem Trupp, bezahlt sie nicht nur nicht für die Plünderung, sondern zwingt sogar seine Bürgerwehr und das Volk, die Kosten für die Plünderung zu tragen und sich um die verkrüppelten Truppenangehörige und die Familien der Erschlagenen.
Wenn moderne Soldaten kein persönliches Interesse am Raub haben, wenn sie aber trotzdem, unter Einsatz ihres eigenen Lebens andere unentgeltlich ausrauben, stellt sich die Frage, was für eine dermaßen mächtige Kraft sie dazu treibt und welches Motiv sie leitet?
Diese Kraft ist: der Kapitalismus, der Staat und die Kirche. Diese dreifache Kombination hat Hunger, Ignoranz und Angst geschaffen, organisiert und systematisiert. Der Kapitalismus – die Organisation der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Menschen vom Menschen – schafft und bewahrt ein System des Massenhungers; der Staat, der die Angst vor Unsicherheit und Hunger ausnutzt, kreiert und erhält Disziplin und Gehorsam aufrecht; die Religion der Kirche und die Religion des Staates – die offizielle Wissenschaft – geben all dem eine moralische und wissenschaftliche Rechtfertigung, pflanzen alle möglichen für die Massen schädlichen Illusionen ein, die Tag für Tag in Schulen und Universitäten, in Kirchen, Synagogen und Moscheen, in Büchern und Zeitungen, im Radio und in den Theatern wiederholt werden – hypnotisieren die Massen. Schädliche Illusionen, falsche Wahrnehmungen und und Vorstellungen werden so zu unumstößlichen Wahrheiten, zu den Grundlagen der Gesellschaft, der Moral, der Ordnung und allgemeinen Wohlergehens, deren Verteidigung eine heilige und unentgeltliche Pflicht ist.
Die Ausbeutung, die Spaltung der Gesellschaft in Klassen und die ökonomische Ungleichheit sind natürlich geworden, deren Beseitigung als Verbrechen gilt; die politische Freiheit, die unter den Bedingungen der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Massen von diesen nicht genutzt werden kann, ist zum Gipfel der Demokratie geworden, und diese Demokratie, die Illusion der Demokratie, wird von den Massen als Realität wahrgenommen, und eine auf wirtschaftlicher Gleichheit beruhende Demokratie hingegen als Illusion; die Idee des Vaterlandes und des Patriotismus, die in der Tat edle Eigenschaften sind, haben die Massen daran gewöhnt, alles, was im imaginären Vaterland vorhanden ist, als ihr eigenes, als „unser“ zu betrachten; die Interessen jedes Einzelmitglieds des Vaterlandes, welcher Klasse die Person auch angehören mag, ihre eigenen Interessen werden zu „unseren“ russischen, amerikanischen, deutschen, französischen, englischen usw. nationalen Interessen, deren Verteidigung die Verpflichtung, die Ehre, die Heldentat eines jeden Patrioten ist. Wer sich weigert, diese nationalen Interessen zu verteidigen, ist ein Feigling, ein Verräter, ein Feind des Vaterlandes, ein Feind des Volkes, ein verachtenswerter Mensch, Unkraut, das aus dem heimischen Gemüsegarten gerupft werden muss.
Und inzwischen sieht und fühlt jeder täglich an seiner eigenen Haut, dass sein Vaterland in Klassen geteilt ist: die einen, die wahren Herren des Vaterlandes, haben in ihren Händen den größten Reichtum konzentriert; die anderen, die Stiefkinder des Vaterlandes, verkommen in Armut und haben keine Arbeit. Dennoch müssen die Interessen der Reichen auch die Interessen der Armen sein, denn sie, die Reichen, sind „unsere“ Russen, Engländer, „unsere“ Deutschen, Franzosen, usw. Die Interessen der Morgans, Fords, Rockefellers usw. sind gleichzeitig die Interessen der amerikanischen arbeitslosen Smiths und Nelsons; die Interessen der deutschen Krupps und Hitlers müssen auch die Interessen der deutschen Michels und der in den Konzentrationslagern schmachtenden Arbeiter sein; die Interessen der französischen Bankiers müssen die Interessen des französischen Jacques sein; die Interessen der englischen Clivedens und Rotmires müssen auch die Interessen der englischen Arbeitslosen und versklavten Hindus sein; die Interessen der größten russischen Bürokraten, der Stalins und Molotows, sollten die Interessen der russischen Iwans und Stepans sein, die wegen chronischer Unterernährung degenerieren.
Wenn also Kapitalisten und Bankiers, anstatt die Bedürfnisse der Menschen in ihrem Land zu befriedigen, ihr Kapital auf der Suche nach Profit und billigen Arbeitskräften nach China, Indien oder andere Länder exportieren, wird uns gesagt, dass unsere Interessen in diesen Ländern zunehmen. Wenn die Bankiers und Kapitalisten anderer Länder erfolgreich mit den unseren konkurrieren oder diese überwältigen, heißt es: „unsere Interessen leiden, sie müssen verteidigt werden, d.h. die Übeltäter müssen geschlagen, der Krieg vorbereitet werden“.
Und der Krieg wird im Namen der nationalen, vaterländischen Interessen geführt, verkörpert durch Öl- und andere Unternehmen, Handelsfirmen und Banken. Um die die werktätigen Massen zu inspirieren und die Ausplünderungsziele der herrschenden Gruppen zu verbergen, kommen zu den nationalen Interessen der herrschenden Gruppen, zu den nationalen Interessen in den demokratischen Ländern hehre Ziele hinzu: der Kampf für Demokratie, für Menschlichkeit, für Zivilisation und Recht; in nicht-demokratischen Ländern, wie Deutschland und Russland, Italien und Japan, führen sie veraltete, aber immer noch starke rassische Motive an: die Befreiung der Blutsbrüder. Mit der Befreiung ihrer deutschen Brüder, versklavt Hitler Tschechen und Polen; bei der Befreiung ihrer slawischen Brüder – Ukrainer und Weißrussen, versklaven Stalins und Molotows Litauer, Letten, Esten, Finnen, Moldawier und ihre polnischen Brüder. Während der Imperialismus der demokratischen Länder Demokratie, Menschlichkeit, Zivilisation und Recht verteidigt, verhält er sich gegenüber Hindus, Chinesen, Arabern und anderen Völkern Asiens und Afrikas weiterhin unmenschlich, barbarisch und absolutistisch.
Es ist alles eine Lüge, eine grobe Täuschung, die mit einem winzigen Stückchen Wahrheit ausgeschmückt ist. Die Wahrheit liegt sehr tief begraben, und wir werden uns bemühen, sie auszugraben und den arbeitenden Massen zu zeigen. Die modernen Staaten werden in zwei Kategorien unterteilt: Großmächte und Kleinmächte. Zu den Großmächten gehören: England, Frankreich, Italien, Deutschland, Russland, Japan und die Vereinigten Staaten; zu den Kleinmächten gehören alle anderen Staaten. Die Welt wird von den sieben oben genannten Großmächten geteilt: über 62 Prozent der Landfläche unseres Planeten gehören ihnen und sie haben über 1 Milliarde und 134 Millionen Einwohner unter ihrer Herrschaft. Es liegt auf der Hand, dass alle anderen Kleinmächte in unterschiedlichem Maße von diesen Großmächten abhängen.
Die gesamte Weltpolitik wird von den Großmächten gemacht. Die Grundlage dieser Politik ist der gegenseitige Kampf. Es ist ein Kampf um die Möglichkeit, die kleineren Mächte auszuplündern und auszubeuten und um die Verteilung die Verteilung der bereits geplünderten Beute. Mächte wie Deutschland, Italien und Japan betraten die historische Arena als Imperien spät, als die Welt bereits ausgeplündert war von England, Frankreich, den Vereinigten Staaten und einigen kleineren Mächten: Belgien, Holland und Portugal, und als die östlichen Grenzen Europas und die russischen riesigen Besitzungen in Asien bereits von einer ziemlich beeindruckenden militärischen Kraft verteidigt werden. Infolgedessen sind die sieben Großmächte in diejenigen aufgeteilt, die alles haben, was sie für die Entwicklung ihrer Industrie und Ausbeutung benötigen – die wohlhabenden Länder; und diejenigen, die sehr wenig oder gar nichts zur Entwicklung ihrer Industrie, zur Ausbeutung, zum Profit, zum Plündern, zur Festigung ihrer Größe, ihrer Macht besitzen – das sind die nicht-habenden Länder. Zu den ersteren gehören: England, Frankreich, die Vereinigten Staaten, zu den letzteren – Deutschland, Italien und Japan. Russland nimmt aufgrund seiner Rückständigkeit eine Zwischenposition ein. Die ersteren wollen das Bestehende bewahren und verfolgen daher eine Politik des Friedens, der Aufrechterhaltung des Status quo; Letztere versuchen, etwas zu erobern, die Welt neu aufzuteilen, und verfolgen natürlich eine Politik der Aggression, eine Politik des Krieges. Die wohlhabenden Länder, versuchen im Interesse der Bewahrung der durch die Jahrhunderte geplünderten Beute, die nicht-habenden Länder auf Kosten der kleineren Länder zu befrieden. So konnte Italien Abessinien (heute Äthiopien – Anm.d.Ü.) und Albanien plündern; Deutschland – Österreich und die Tschechoslowakei; Japan – die Mandschurei und China; Russland plünderte leise die Äußere Mongolei und sogar Xinjiang, das Chinesisch-Turkestan (die kurze Annexion durch die UdSSR Ende der 1930er Jahre – Anm.d.Ü.).
So haben sich die Großmächte im Interesse der Ausbeutung und des Erhalts der Beute, im Interesse der Bewahrung ihres Einflusses auf kleinere Mächte oder der Erlangung bzw. der Ausweitung dieses Einflusses, zu verschiedenen Zeiten auf unterschiedliche Weise zusammengeschlossen und immer Feinde geblieben, bereit, sich gegenseitig anzugreifen, sich einem anderen Block anzuschließen oder einen neuen zu schaffen.
Der Krieg, der jetzt zwischen Deutschland auf der einen und England-Frankreich auf der anderen Seite stattfindet, ist die logische Folge der oben erwähnten Politik der Großmächte. Dieser Krieg ist vorzeitig entstanden und nicht in der Kombination der Großmächte, die vorbereitet und natürlich schien. Aber der Krieg ist noch im Entstehen begriffen und es ist sehr gut möglich, dass andere Mächte in ihn hineingezogen werden und dass aus einem lokal begrenzten deutsch-französischen Krieg ein europäischer oder sogar ein Weltkrieg wird. Um die Ursachen, die Ziele und den Charakter des gegenwärtigen Krieges gut zu verstehen und mit einer gewissen Sicherheit die möglichen Wege seiner Entwicklung vorauszusehen, ist es notwendig, die sogenannten nationalen Interessen jeder der Großmächte zu kennen und zu sehen, in welchen Punkten sie mit den nationalen Interessen anderer Länder kollidieren oder übereinstimmen und welche Kombinationen von Mächten auf der Grundlage längerer oder kurzfristiger Ähnlichkeit der Interessen möglich sind. Betrachten wir die Interessen der einzelnen Großmächte getrennt. England muss richtigerweise als erstes betrachtet werden.
England, womit wir Großbritannien als Ganzes meinen, gehört zu den drei Großmächten und steht an erster Stelle unter ihnen, das heißt, es regiert die Welt. Das eigentliche Großbritannien, die Metropole, liegt auf Inseln, mit einer Fläche von 94.000 Quadratmeilen und einer Bevölkerung von 46,5 Mio. Menschen. Und so besitzt dieses kleine Land also mehr als 13 Millionen Quadratmeilen Landfläche und hält etwa eine halbe Milliarde multirassischer und multikultureller Menschen in seinen Händen. Seine Besitzungen sind nicht ein ganzes Stück Land, wie die Russlands. sondern sind über die ganze Welt verstreut. Die Verteidigung dieser Besitztümer erfordert eine starke Marine und Stützpunkte für sie. Diese Flotte muss doppelt so stark sein wie die Flotte des mächtigsten eventuellen Gegners; daher war und ist die erste und wichtigste Aufgabe der englischen Politik die Aufrechterhaltung des bestehenden Verhältnisses der bewaffneten Seestreitkräfte.
Jede Verletzung dieses Verhältnisses, jeder Versuch, die britische Marine gleichzustellen, wurde und wird als Bedrohung für die Existenz des des britischen Empire. Deutschland versuchte, mit England an Seemacht gleich zu werden, woraufhin England im Bündnis mit Frankreich, Russland, Italien, den Vereinigten Staaten, Japan und anderen verübte einen vernichtenden Schlag gegen Deutschland und zerstörte seine Kriegsmarine vollständig. Aber es konnte durch den Krieg mit Deutschland nicht die wachsende Seemacht der Vereinigten Staaten und Japans verhindern, was die englischen Kapitalisten furchtbar beunruhigt, denn die USA bedrohten ihre Interessen in Kanada, in Mittel- und Südamerika und teilweise in Asien, und Japan in Asien und in Australien; China, Indien, die Malaiischen Inseln und Australien mit Neuseeland. Auf dem europäischen Kontinent hat England ein Interesse an der Aufrechterhaltung des bestehenden Gleichgewicht der Kräfte. Jede Störung dieses Gleichgewichts durch Eroberung oder ein Militärbündnis bedroht die Existenz des britischen Empire, denn die Metropole, d.h. England, könnte von ihren Kolonien abgeschnitten werden und verhungern. Es befürchtet eine Wiederholung der napoleonischen Kriege und wacht deshalb eifersüchtig über ihren Verbündeten Frankreich, und war gegen sein Abkommen mit Russland, und schaffte für beide eine Bedrohung durch Deutschland. Die Störung des europäischen Gleichgewichts könnte das Vordringen starker Mächte ins Mittelmeer begünstigen, was Englands „Lebenslinie“, der kürzesten Weg nach Indien dauerhaft gefährden würde; daher bewacht es eifersüchtig die Straße von Gibraltar, das Tor vom Atlantik zum Mittelmeer, den Suezkanal, der vom Mittelmeer zum Indischen Ozean führt, und bemüht sich, die Dardanellen geschlossen zu halten, damit Russland nicht in das Mittelmeer eindringt, und bewacht mit Nachdruck die wichtigsten Festungen in diesem Meer, um Italien im Notfall angreifen zu können. Italien oder Deutschland können, zusammen oder getrennt, in den Balkan eindringen, aber sie können nicht ohne Krieg mit England in Griechenland eindringen, denn die günstigen Häfen dieses Landes ermöglichen es England, Russlands Ausgang aus den Dardanellen zu kontrollieren und den Suezkanal vor italienischen Angriffen zu schützen. Deutschland kann zwar den Balkan beherrschen, den England ihm vor dem Krieg zugestanden hat. Aber es kann nicht ohne Krieg mit England nach Kleinasien vordringen, weil dieses Vordringen die Ölvorkommen von Bagdad, den englischen Einfluss in Persien und Indien selbst bedroht. Deutschland kann auf Kosten Russlands nach Osten vordringen, aber nicht nach Südosten.
Was Russland betrifft, so hatte England es stets als seinen Hauptfeind betrachtet, wenn nicht in der Gegenwart, so doch in der Zukunft. Ein militaristisches Russland machte ihm Angst. Und verständlicherweise konnte sich Russland nur auf Kosten Englands in Asien bewegen, und in Asien war die ganze Macht des des britischen Empire: der riesige Markt Chinas, Indien mit seinem unerschöpflichen Reichtum und seinem unerschöpflichen Vorrat an Kanonenfutter; Afghanistan und Persien, sowohl als Märkte als auch als und als Orte der Kapitalausbeutung sowie als Pufferstaaten zwischen Russland und Indien. Darüber hinaus ist Persien ein Hindernis für das russische Eindringen in den Indischen Ozean durch den Persischen Golf und nach Mesopotamien. Auch die Türkei muss England verteidigen, denn es liegt in seinem Interesse, die Türkei als Barriere für das russische Eindringen der Russen zu den östlichen Ufern des Mittelmeers, zu den Zufahrten des Suezkanals und auf das Bagdader Ölfelder. England hat nichts gegen das Vordringen Russlands nach Nordchina, in die Mandschurei, in die Mongolei, wo Russland mit Japan zusammenstoßen könnte, aber es kann sich nicht so einfach mit der Einnahme von Xinjiang, das an Indien grenzt, anfreunden: es kann das Eindringen in Zentralchina, das die Handelswege kontrolliert, nicht dulden. Um seine Stellung in Asien zu wahren, ist England daher an den feindlichen Beziehungen zwischen Russland und Japan interessiert und wünscht, dass diese nie aufhören.
Das Gerücht, das jetzt in der Luft liegt, dass ein Nichtangriffspakt zwischen Japan und Russland möglich ist, beunruhigt die englischen Kapitalisten. Japan verdankt England viel von seiner gegenwärtigen Macht. England hat Japan als Instrument geschaffen, um dem weiteren Vordringen des russischen Imperialismus nach China entgegenzuwirken, das einen riesigen Puffer zwischen Russland und Indien darstellt. Japan folgte offensichtlich bereitwillig der Linie des geringsten Widerstandes gegen englische Expansion, wobei es die Beschlagnahmung der Mandschurei, der Seeregion und eines Teils Sibiriens im Sinn hatte, um die Bewegung Russlands nach Osten aufzuhalten und seine Hände für die Beherrschung Chinas freizumachen, das die wirtschaftlichen Grundlagen für das japanische Reich liefern könnte: den Markt und die Rohstoffe. Die Dinge entwickelten sich jedoch anders, und Japan nutzte die instabile Lage in Europa, um Sibirien und die Primorje-Region zu verlassen und nach China zu gehen.
Entsprechend der veränderten Situation änderte sich in mancherlei Hinsicht auch die Politik Englands. Ohne die Idee eines militärischen Zusammenstoßes zwischen Japan und Russland aufzugeben, beschloss es gleichzeitig, durch Unterstützung Chinas in Verbindung mit den daran interessierten Amerika und Russland, Japan in China zu binden und es zu erschöpfen. Der Ausbruch des Krieges mit Deutschland, das Vordringen Japans in die chinesischen Provinzen an der Grenze zu Indochina und danach nach Indien, japanische Machenschaften in Siam (heute Thailand – Anm.d.Ü.), Gerüchte über einen Nichtangriffspakt mit Russland, das Vordringen des letzteren nach Xinjiang, machen die eventuelle Möglichkeit einer Teilung Chinas zur Realität, und die imaginäre Bedrohung der englischen Vorherrschaft in Indien und in Asien im Allgemeinen wurde sehr greifbar, sodass der Krieg der Clivedens und Chamberlains mit Hitler wurde zu einem Krieg um die Existenz des britischen Empire, denn im Falle einer Niederlage Englands in diesem Krieg, die wir nicht zwar nicht annehmen, könnten England und Frankreich aus Asien vertrieben werden, und mit ihnen auch Holland. Aber das kann ohne Beteiligung der Vereinigten Staaten am Krieg an der Seite Englands und Frankreichs nicht passieren. England erhofft dies nicht ohne Grund, denn außer dem Markt und den Rohstoffen, an denen die USA interessiert sind, haben die US-Kapitalisten in verschiedenen Teilen Asiens etwa eine Milliarde Dollar investiert, das zum Einen; und zum Anderen, eine solche Stärkung Japans bedeutet für die USA den Verlust des südamerikanischen Marktes und der Vorherrschaft im Pazifik. Natürlich können die Vereinigten Staaten das nicht zulassen.
Frankreich erstreckt sich über eine Fläche von 212.600 Quadratmeilen mit einer Bevölkerung von 42 Millionen Menschen, und seine kolonialen Besitzungen umfassen 4.300.000 Quadratmeilen mit einer Bevölkerung von von 65 Millionen Menschen. Die meisten seiner Kolonien liegen in Afrika, und folglich ist es ebenso wie England an der Beherrschung des Mittelmeers und seiner Ausgänge interessiert. Italien hat ein Auge auf die französischen Kolonien, z.B. Tunesien, geworfen und möchte im Mittelmeerraum mit England und Frankreich gleichziehen, was zur Folge hat, dass die Mittelmeerpolitik der letzteren beiden übereinstimmt. Sie richtet sich gegen Italien und gegen die deutschen und russischen Bestrebungen, in das Mittelmeer einzudringen.
Indochina ist die wichtigste französische Kolonie, die von Japan bedroht wird. Frankreich selbst ist nicht in der Lage, es zu verteidigen, daher ist ein Bündnis mit England unerlässlich. Auch die ständige Bedrohung durch Deutschland am Rhein zwingt Frankreich zu einer engen Freundschaft mit England. Aber Frankreich ist ein Konkurrent Englands als Bankier und Händler; aßerdem ist das Erstarken Frankreichs in Europa für England unerwünscht aus dem Grund, dass ein militaristisch starkes Frankreich, das in Europa dominiert, im Bündnis mit einer anderen militärisch starken europäischen Macht, wie z.B. Russland, eine Bedrohung für das britische Empire sein könnte. für die Existenz des britischen Empire: England kann Napoleon nicht vergessen. Infolgedessen schuf England, trotz dieser Freundschaft, ein starkes Deutschland, um sowohl Frankreich als auch Russland im Schach zu halten, und war sehr kalt gegenüber dem französisch-russischen militärischen Abkommen.
Die dritte Großmacht sind die Vereinigten Staaten. Die Hauptinteressen der USA liegen in Kanada, in Mittel- und Südamerika, in der Karibik, im Pazifischen Ozean: auf den Philippinen, in Niederländisch-Indien (heute Indonesien – Anm.d.Ü.), in China und anderen Teilen Asiens. Trotz ihres erbitterten Wettbewerbs mit England in Asien und Südamerika haben die USA in Asien und Südamerika zusammen mit England einen Feind in Gestalt Japans und teilweise in Gestalt Deutschlands, welches in den letzten Jahren begonnen hat, auf die südamerikanischen Märkte vorzudringen. Amerika ist keineswegs gleichgültig gegenüber all dem, was in Europa vor sich geht, denn amerikanische Kapitalisten haben zwei Milliarden und 372 Millionen Dollar in europäischen Ländern investiert.Alle diese Länder mit Kolonien sind autark, d.h. sie verfügen über alle oder fast alle notwendigen Rohstoffe für die Entwicklung der Industrie. Darüber hinaus sind sie die Bankiers der Welt. Von der gesamten Goldgeldmenge der Welt von 24 Milliarden Dollar gehört mehr als die Hälfte den Vereinigten Staaten, ein Viertel England und Frankreich, und nur ein Viertel, etwa 6 Milliarden, gehört dem Rest der Welt! Diese drei Länder erobern die Welt mit Gold, ohne Krieg. Sie investieren das Geld in verschiedene Unternehmen (der Bau von Eisenbahnen, Bergbau usw.) zu günstigen Bedingungen. Frankreich hat in verschiedenen Ländern über 9 Milliarden Dollar, die Vereinigten Staaten über 10 Milliarden, und die Investitionen der britischen Kapitalisten belaufen sich auf fast 20 Milliarden, aus denen sie allein an Zinsen 875 Millionen Dollar pro Jahr erhalten. Es ist klar, dass bei dieser Sachlage die Länder, in denen diese Investitionen getätigt werden, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch abhängig werden: In ihnen wird eine politische Ordnung etabliert, die ihnen das investierte Kapital und die daraus resultierenden Gewinne sichert. Infolgedessen ist es klar, dass die französische, englische und amerikanische Demokratien, obwohl sie zu Hause Demokraten bleiben, die erbittertsten Feinde der Arbeiterbewegung und der Demokratie, der wahren Demokratie in den Ländern des investierten Kapitals sind. Wenn man dies bedenkt, wird das Schicksal Spaniens klar, die Wiederherstellung der Monarchie in Griechenland, die Marionettenregierung auf Kuba, die Reaktion im Südamerika und die weltweite Reaktion im Allgemeinen. So sind die nicht-habenden Länder, die keine Rohstoffe und kein Geld haben, um welche zu kaufen, gezwungen, das Geplünderte zu plündern. Es ist nun mal so, dass die nicht-besitzenden Länder in ihrer politischen Organisation reaktionär sind: der Nazismus in Deutschland, der Faschismus in Italien, der Militärfaschismus in Japan, aber auch die reichen Länder, zumindest außerhalb ihrer Grenzen, sind aus kapitalistischer Not reaktionär. Es ist für niemand ein Geheimnis, dass sie Hitler, Mussolini und Franco unterstützt hatten, und sie hätten nichts dagegen, nach dem Krieg einen anderen Hitler mit einem anderen Nachnamen zu unterstützen, irgendeinen von Boring oder von Schleppe. Der derzeitige Krieg ist also kein Krieg gegen den Hitlerismus – es ist ein Krieg zweier kapitalistischer Reaktionen, die um ihren Profit kämpfen. Diese beiden Lager der Reaktion können eine Reihe von anderen Ländern in den Krieg hineinziehen und den Krieg zu einem Weltkrieg machen. Aber in diesem Krieg gewinnen die Arbeiter nicht, sie verlieren nur. Es ist ein von den Arbeitern unterstützter Krieg um das Vorrecht, die Arbeiter auszubeuten und zu unterdrücken. Und wenn das so ist, und es ist so, dann ist die Schlussfolgerung offensichtlich: Die Arbeiter der kriegführenden Länder müssen ihre Bajonette gegen ihre Kapitalisten richten, und die Arbeiter der neutralen Länder müssen ihnen folgen.
Und das gilt nicht nur für die Länder der kapitalistischen Demokratien und faschistischen Diktaturen, sondern auch für das Land des „Komfaschismus“ – für Russland. In Russland hat sich eine neue Klasse gebildet, die, wie die alte, auf Kosten der Ausbeutung der werktätigen Massen des eigenen Landes und auf Kosten der ausgebeuteten Völker der anderen Länder lebt: Georgien, Mongolei, Xinjiang, der Ukraine usw. Der Imperialismus des Komfaschismus unterscheidet sich in der Substanz nicht vom kapitalistischen Imperialismus. Der einzige Unterschied liegt in den Motiven: Die Kapitalisten treiben die Werktätigen zum Massenraub im Namen der Demokratie, indem sie ihnen diese wegnehmen, während die Kommunisten – im Namen des Sozialismus, den sie selbst nicht wollen. Die Ergebnisse sind die gleichen. Die neue komfaschistische Klasse Russlands, wie die alte, anstatt sich konstruktiver, friedlicher Tätigkeit zu widmen, hat ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Militarismus gelegt und unnötigerweise im Namen des Ruhmes, der Größe und der Festigung ihrer Autorität im Lande hat sie die russischen Arbeiter und Bauern in die imperialistische Ausplünderung hineingezogen. Statt Brot, Stiefel, Kleidung und kulturellem Aufbau erhält der hungernde und entkleidete russische Arbeiter wieder Leichenberge, Tausende von verstümmelten und dazu noch unterdrückte Finnen, Weißrussen und Ukrainer in stalinistischen Maulkörben, die nach Sibirien geschickt werden, um dort angesiedelt zu werden und in den zahllosen komfaschistischen Gefängnissen und Konzentrationslagern von Flöhen gefressen zu werden, und den gerechten Hass der Welt auf alles, was kultiviert und ehrlich ist. Zu alledem können uns die kompfaschistischen Napoleons noch Moldawier und Perser schenken.
In Russland, wie in der übrigen Welt, ist das reinigende Gewitter einer echten Volksrevolution nötig. Es ist unsere Pflicht, für das Herannahen dieses reinigenden Sturms zu arbeiten. Ohne ihn wird es nur Dunkelheit und Sklaverei, und zwar nicht einmal gesättigte, sondern hungrige Sklaverei geben.
Übersetzung aus dem Russischen von Ndejra. Original veröffentlicht in „Delo truda – Probuschdenije“, Nr. 1, 1940
https://ru.anarchistlibraries.net/category/author/maksimov-grigorii-petrovich